Dienstag, 31. März 2015

Herbermann ringt beim Tageslügel um die Bombe, die iranische

Der Text ist eine Diskussion nicht wert, weil er nichts Substanzielles enthält. Wir haben eine Kollage aus Stimmungsbildern und Umfragewerten aus den USA, angereichert mit BLÖD-Bodyguardlyrik und Beau-Rivage Palace-Ambiente, aber nichts, was dem Leser weiter hilft -- außer eben die Überschrift: "Das zähe Ringen um die Bombe". Um die aber geht es gar nicht, nicht einmal im Artikel. Ein dummes Journaillenmitglied sondert Sonderbares ab und gefällt sich in Allgemeinplätzen. Offenbar war der Platz reserviert, und nun mußte er vollgeschmiert werden. Das hat er geschafft, ohne den Tenor seiner Schmierereien aufzugeben: Der Iran will die Bombe. Ein Schmierfink ist er.

Sonntag, 29. März 2015

Malte Lehming beim Tageslügel: Der Iran baut "weiter an der Bombe"

Dieses Mal darf also Malte Lehming die Rolle des Lügners übernehmen, der die Realität tageslügelüblich  auf den Kopf stellt, was durch einen Mangel an Kenntnissen sicherlich erleichtert wird. In seinem Artikel "Kein Abkommen besser als ein schlechtes - wirklich?" schreibt er folgerichtig schon im Teaser:
Ohne ein Abkommen könnte der Iran ungehindert weiter an der Bombe bauen. Das würde ihn weitaus schneller in den Besitz einer Atomwaffe bringen als ein Abkommen mit Mängeln.
Nun, wir dürfen gespannt sein, wie er das "weiter an der Bombe bauen" begründet, auf welche Quellen er sich stützt und wie er erklärt, daß bisher keinerlei diesbezügliche Unterstellung in den Dokumenten der IAEA zu finden ist.

Er beginnt mit einer Kanonade von Vorwürfen, daß einem schwindelig wird:
Der Iran mit seinem Mullahregime ist eine expansiv ausgerichtete Diktatur. Dessen Repräsentanten drohen dem Staat Israel die Vernichtung an. Sie foltern und ermorden Andersdenkende. Sie unterstützen Terrororganisationen – von der Hamas bis zur Hisbollah, von den Houthi-Rebellen im Jemen bis zu schiitischen Widerstandsgruppen in Bahrain und Katar. Teheran verfolgt skrupellos hegemoniale Interessen – und arbeitet seit vielen Jahren an einem Atomprogramm. Da müssen alle Alarmsignale schrillen.
 Dazu ist Folgendes anzumerken:
  1. Persien und der Iran haben zweieinhalb Jahrhunderte kein Land überfallen. Das Land ist offenbar so perfide, sich permanent und in "hegemonialer Absicht" als Opfer zur Verfügung zu stellen. Die gingen im 1. Weltkrieg sogar so weit, sich von den Briten zu 40 Prozent aushungern zu lassen: acht bis zehn Millionen Perser starben an vorwiegend britischen Wohltaten.
  2. Die Vernichtungslüge ist hier schon Thema gewesen. Er hat es schlicht und einfach nicht gesagt -- nicht der Ahmadinejad, nicht der Khamenei. Als Leseprobe seien Lügen-Lehming MEMRI und Cole empfohlen. Und wenn er schon einer zionistischen Geheimdienstgründung oder einem Farsi-Sprechenden nicht glauben kann, dann vielleicht dem hier: Der Guardian.
  3. Die Einstufung der Hamas, einer Gründung Israels unter dem damaligen Agrarminister Ariel Sharon (ausführlich dargestellt in Robert Dreyfuss: "Devil's Game. How the United States Helped Unleash Fundamentalist Islam", pp. 190 ff., oder hier: Klick!), wurde vom Europä-ischen Gerichtshof als unrechtmäßig abgeschmettert. Da sich die Vertreter europäischer Werte nicht um derlei Urteile scheren, sondern weiterhin völkerrechtswidrig verfahren, scheint Lehming anzunehmen, man läßt es ihm durchgehen. Läßt man aber nicht. Malte, mal herhören: Die Hamas ist keine Terrororganisation.
  4. Die Hezbollah wurde infolge der israelischen Libanon-Aggression 1982 und des Massakers in Sabra und Shatila, an dem Israel maßgeblich beteiligt war (Henry Cattan: "The Palestine Question", pp. 169 ff.), gegründet. Ze'ev Maoz, ehemaliger Offiziersausbilder am IDF-College schreibt dazu:

    Die Ironie war, daß der Hauptzweck der Sicherheitszone -- die Verhinderung des Beschusses israelischer Ziele -- durch die Aktionen der IDF selbst unerfüllbar gemacht wurde. Die Hizballah entwickelte einen einfachen Entscheidungsmodus [...]: den Beschuß von Zielen innerhalb Israels als Antwort auf die Tötung libanesischer Zivilisten durch die IDF. In allen anderen Fällen waren die IDF-Truppen in der Sicherheitszone ebenso wie die SLA-Milizionäre die Hauptziele. Diese Strategie hätte dem IDF-Geheimdienst nahelegen sollen, daß das Hauptziel der Organisation war, die IDF-Okkupation des im Libanon zu beenden. Trotz ihrer extremistischen Rhetorik von der Vernichtung Israels war das Ziel der Hizballah die Befreiung des Libanon. ("Defending the Holy Land. A Critical Analysis of Israel's Security & Foreign Policy", p. 213, meine Übersetzung.)

  5. Die Unterstützung der Houthis ist bisher von niemandem belegt worden, auch nicht von Lehming. Der ehemalige Militärgeheimdienstler Pat Lang äußert sich dazu auf seinem Blog negativ: The Zaidi Houthis are not "Iran's Puppets".

    There does not exist a natural affinity between the Yemeni Zeidis and the 12er Shia of southern Iraq and Iran. The zaidiya follows a system of religious law (sharia) that more closely resembles that of the Hanafi Sunni "school" of law than that of the Shia of Iran or Iraq. The Zaidi scholars profess no allegiance to the 12er Shia scholarship of the Iranian teachers. In theology the Zaidis follow the methodology in analysis of the mu'tazila , the "rationalist" school of theology exterminated in the rest of Islam (including Iran) 1200 years ago. This system of scloarship survives only among the Zaydis. In short there is little religious connection with Iran. For a Zaydi to "convert" to 12er Shiism is as big and alienating a step as "conversion" to Sunnism. Such a change would normally lead to family, clan and tribal ostracism.

  6. Auch wenn Lehming die Lüge der iranischen Expansion mit der Unterstellung der "hegemonialen" Bestrebungen fortführt, bringt er nichts als heiße Luft. Zweieinhalb Jahrhunderte, Malte, zweieinhalb Jahrhunderte. Und wenn du lügst, daß sich die Balken biegen.
Großzügig, wie Lehming nun einmal ist, stellt er fest, daß es "für eine Intervention" zu spät sei. Er fragt sich nicht einmal, ob sie völkerrechtlich erlaubt ist, ist doch der Iran m. W. nicht einmal als Bedrohung für den Weltfrieden bezeichnet worden. Kriegstreiber halten sich mit derlei Fragen nicht auf, wenn es gilt, gegen andere zu hetzen. Er befürwortet den Cyberwar gegen den Iran mit derselben Chuzpe, wie er sich für Sanktionen ausspricht und das einzige Atomwaffenprogramm der Region verdrängt: das Israels.

Zum Ende des Artikels kommt der Rückgriff auf das Teaser-Thema: der Iran könne weiter an der Bombe bauen. Dann fordert Lügen-Lehming nichts anderes als den Verzicht des Iran auf das, was ihm der Beitritt zum NPT garantiert: Die komplette Nutzung des Atomprogramms für zivile Zwecke.

Wieder ein Hetzartikel, wieder eine vollständige, dafür aber beleglose Verdrehung der Tatsachen, wieder Bauchgefühl statt Argumenten, Fakten und Beweisen. Der 300-Pfund-Gorilla bleibt unerwähnt. Wenn sich in der Region überhaupt ein nukleares Wettrüsten entwickeln könnte, dann nur wegen eines Umstands: wegen des israelischen Atomwaffenprogramms, das zusammen-geraubt und -gestohlen wurde und von niemandem kontrolliert wird.

Donnerstag, 26. März 2015

Und wieder lügt der Tagesspiegel

Jan Dirk Herbermann schreibt in seinem Artikel "Atomverhandlungen mit Iran in heißer Phase" gar Schröckliches über das iranische Atomprogramm:
Für Experten steht fest, dass Teheran Atomwaffen will

Dass die Iraner nach Atomwaffen streben, steht für viele Experten fest. Yukiya Amano, Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur IAEO, warnt in seinen Kontrollberichten beharrlich vor der "möglichen militärischen Dimension" des iranischen Atomprogramms. Der Iran verstecke nukleares Material und verschleiere nukleare Aktivitäten vor den IAEO-Inspekteuren. Teheran bestreitet das und pocht auf sein Recht als Mitglied des Atomwaffensperrvertrages: Danach darf jeder Vertragsstaat die Kernenergie friedlich nutzen. Gefeilscht wird in Lausanne über den Umfang des iranischen Atomprogramms.
Dazu ist Folgendes zu sagen:
  1. Amano ist kein Experte, sondern ein politischer Beamter an der Spitze der IAEA. Der britische Guardian sah sich am 30.11.2010 genötigt, unter der Überschrift "Nuclear Wikileaks: Cables show cosy US relationship with IAEA chief" mit Bezug auf ein Kabel des damaligen Verantwortlichen Pyatt zu schreiben,

    The IAEA transition that will come as DG [director general] ElBaradei's term ends November 30 provides a once-a-decade opportunity to overcome bureaucratic inertia, modernize Agency operations, and position the new director general for strong leadership from the DG's office.

    Und in der Tat führte der erste Besuch Amano ins Weiße Haus, wo er sich als mit der US-Regierung im Einklang stehend bezeichnete. Pyatt ist der Lump, der beim Putsch der Nazis in Moskau einer der Strippenzieher war.
  2. Die berüchtigten "möglichen militärischen Dimensionen" gelten für jedes Land, in dem die IAEA aktiv ist, werden aber nur im Falle des Iran in einen Bericht aufgenommen. Auch Deutschland hat diese "möglichen militärischen Dimensionen", zumal unser Land über EADS mit an der französischen M-51-Atomwaffe baut.
  3. Die IAEA hat niemals behauptet, daß der Iran nukleares Material verstecke. Stattdessen finden wir im letzten Bericht der IAEA dazu erneut die Einlassung, daß kein Material verschwunden sei.
  4. Die IAEA hat niemals behauptet, daß der Iran nukleare Aktivitäten verschleiere. Was bemängelt wurde, war der nicht nach Gutsherrenart vorzunehmende Zugriff auf Parchin. Parchin aber ist keine nukleartechnische Anlage und daher für die IAEA ultra vires, es liegt also außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Dennoch gewährten die Iraner der Kontrollbehörde zweimal Zugang zu dem Komplex, und zwar auf Gebäude, die sich die IAEA vorher aussuchen konnte. Man fand -- nichts. Dementsprechend sah sich die IAEA 2007 dazu gezwungen zu bestätigen, daß die Organisation über keinerlei Informationen zu einem iranischen Atomwaffenprogramm verfüge: Klick! Diese Information ist der Öffentlichkeit mittlerweile nicht mehr zugänglich. Der Text lautete am 9.2.2014:

    Recent Media Report on Iran

    17 September 2009 |

    With respect to a recent media report, the IAEA reiterates that it has no concrete proof that there is or has been a nuclear weapon programme in Iran.

    At the Board of Governors´ meeting on 9 September 2009, Director General Mohamed ElBaradei warned that continuing allegations that the IAEA was withholding information on Iran are politically motivated and totally baseless.

    The Agency receives information from a variety of sources that may have relevance to the implementation of safeguards. All such information is critically assessed by a team of experts working collectively in accordance with the Agency´s practices.

    The IAEA reiterates that all relevant information and assessments that have gone through the above process have already been provided to the IAEA Board of Governors in reports of the Director General.


    Herbermann unternimmt nicht einmal ansatzweise einen Versuch, seine abstruse Behauptung mit irgendeiner Quelle zu belegen. Er unterläßt im Prinzip jeden Versuch, überhaupt Substanz in seinen Erguß zu bringen, und schreibt stattdessen aus dem Bauch heraus. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt: Auch ich stütze mich nur auf die offiziell zugänglichen Quellen direkt bei der IAEA. Ein Herbermann mit sicherem Tagesspiegel-Honorar scheint das nicht nötig zu haben. Er ist Journaillenmitglied, nicht Journalist mit dem Anspruch, der Wahrheit nachzugehen.
  5. In Lausanne wird auch nicht gefeilscht. Dort wird der Versuch unternommen, die Rechte der Iraner aus Artikel IV des NPT zu beschneiden. Das heißt nichts anderes, als daß der Inhalt eines völkerrechtlich gültigen Vertrags für die Iraner ganz oder in Teilen nicht zu gelten hat -- weil die USA es so wollen, weil Israel es von den USA verlangt. Na, schönen Dank auch.
Herbermann schreibt desweiteren:
Strittig bleiben etwa Qualität und Quantität der Zentrifugen zur Urananreicherung und auch die Zukunft eines Schwerwasserreaktors. Beim Betrieb von Schwerwasser-reaktoren fällt Plutonium an. Plutonium wie auch hoch angereichertes Uran dienen zum Bau von Atomwaffen.
Hier ist gar nichts strittig. Die Ausbaustufen der iranischen Zentrifugen sind bis ins letzte Detail bei der IAEA angezeigt worden. Sie werden im oben genannten Bericht unter Punkt 26 auch erwähnt. Der Schwerwasserreaktor in Arak unterliegt der Kontrolle der Organisation. Es sind keine Pu-Breakout-Boxen vorhanden. Das Design wurde von der IAEA als korrekt bestätigt. Das Wort "Plutonium" taucht im letzten Bericht nicht auf. Der Bericht der IAEA weist nach, daß in Arak keine weiteren Entwicklungsarbeiten vorgenommen worden sind, der Iran also seine sich freiwillig auferlegten Beschränkungen einhält (Annex I, 1.vi).

Schön auch der nette Bezug zur Möglichkeit, Plutonium als Atomwaffenmaterial zu verwenden. So herbermannhirnlos wie inhaltsleer bietet sich dem Hetzer von Welt an dieser Stelle natürlich eine brillante Möglichkeit, die Realität auf den Kopf zu stellen -- durch Andeutung. Aber vielleicht liegt hier auch nur eine Verwechslung vor und Herbermann meint den Reaktor in Dimona (Israel), der in der Tat der Atomwaffenproduktion dient und von der IAEA bisher nicht behelligt wurde -- mangels Beitritts des Apartheidstaats zum NPT. Dann danke ich dem Herrn für seine offenen Worte.

Apropos Israel: Nachdem das kleine, verletzliche -- und die einzige sowieso -- die jüngsten Verhandlungen lt. US-Regierung bespitzelte und die Informationen an die Ziocons um McCain weitergab, machte sich auch eine Delegation nach Frankreich auf, um den Druck für ein Scheitern der Verhandlungen zu erhöhen. Offensichtlich erscheinen die Amerikaner den Herren in Tel Aviv als unsichere Kantonisten. Netanyahu widerspricht man wohl eher nicht ungestraft.

    Donnerstag, 19. März 2015

    Varoufakis und der Stinkefinger

    Weil es so schön ist: Jan Böhmermann erklärt im NEO MAGAZIN ROYALE, wie das garantiert nicht gefälschte Video entstanden ist.

    Eine Reaktion der versammelten Meinungsführerschaft von BLÖD bis Jauch steht bisher noch aus.

    Dienstag, 17. März 2015

    Ein Quartalsirrer schmiert für den Tagesspiegel -- Casdorff über den Iran (Updated)

    In seinem unglaublichen Artikel "Wenn es um den Iran geht, hat Israel keine Wahl" lügt Stephan-Andreas Casdorff seiner Leserschaft wieder einmal die Hucke voll. Nach einem verschwurbelten "Ich-mag-ihn-ja-auch-nicht-aber-er-könnte-ja-doch-gewinnen-länger-im-Dienst-war-nur-Ben-Gurion"-Lobhuddelabsatz über den Irren von Tel Aviv, Netanyahu, schreibt er von der Bedrohung des Landes durch -- klar, den Iran.

    Zunächst einmal nennt er den Iran eine Mullahkratie, was ein Maß an Unkenntnis über die Partizipationsmöglichkeiten der Iraner offenbart, daß es einen Hund jammert. Die Menschen dort gehen regelmäßig zu den Wahlen und erreichen damit Wahlbeteiligungsquoten, für die hierzulande Jubelorgien gefeiert würden. Selbst der Wächterrat wird gewählt. Keine einzige Anschuldigung der Wahlfälschung ist bisher nicht zurückgezogen worden, das Wahlsystem des Iran ist vom Technischen her sehr viel sicherer als das Deutschlands. Das alles kümmert das Lügenmaul nicht.

    Casdorff fährt fort:
    Netanjahu sagt also: Kein Abkommen mit dem Iran ist besser als ein schlechtes. Abgesehen davon, dass der schlichte Satz immer und überall richtig ist – in diesem Fall ist er es ganz sicher. Schlecht wäre ein Abkommen, wenn die Nukleartechnik im Iran nicht zu überprüfen wäre. Schlecht wäre, wenn die Mullahs danach Israel immer noch von der Landkarte löschen wollten. Und schlecht wäre, wenn die Nachbarn aus Furcht oder aus Konkurrenzdenken beschließen würden, jetzt auch Atomwaffen zu bauen. Ein atomarer Rüstungswettlauf in der Region, die sowieso schon ein Pulverfass ist, das hätte gerade noch gefehlt.
    und wiederholt damit so ziemlich jede Lüge über den Iran, die israelische Hasbara und ihre Freunde im Land der besonders Freien bisher verbreitet haben. Also sehen wir uns das näher an:
    1. Der Iran ist Mitglied des NPT. Es bestehen Vereinbarungen zwischen dem Iran und der IAEA, die eine Kontrolle des Atomprogramms garantieren: INFCIRC/214. Dieses Dokument ist offen einsehbar. Auch für Lügenmaul Casdorff. Alle nukleartechnischen Anlagen des Iran werden kontrolliert. Dies wird mit schöner Regelmäßigkeit von der Organisation selbst bestätigt -- indem sie Berichte über die Kontrollen im Iran veröffentlicht. Der letzte liegt hier: Klick! Auch dieses Dokument ist für Casdorff abrufbar.
    2. Kein einziger Iraner hat verlangt, Israel von der Landkarte radieren, löschen, ausschneiden oder sonstwie verschwinden lassen zu wollen. Der beste Zeuge dafür ist das von der Israelin Meyrav Wurmser und vom israelischen Militärgeheimdienstler Yigal Carmon gegründete Middle East Media Research Institute, einer Einrichtung zur Betonung der Wichtigkeit des Zionismus. Die haben sich Ahmadinejads angeblich berüchtigte Rede angesehen und übersetzt: Klick! Nichts da mit Auslöschen, nichts da mit Radieren von der Landkarte, wie Israel Palästina von der Landkarte radierte, sondern "verschwinden aus den Seiten der Geschichte", und zwar so, wie sich das mit dem Regime des Schahs oder der Sowjetunion eben auch erledigte -- von selbst.
    3. Elegant verpackt Casdorff die Behauptung, der Iran baue an einer Atombombe, in das kleine Wörtchen "auch" ("jetzt auch Atomwaffen zu bauen"). Liebes Mietmaul: Es gibt dort nur ein einziges Land, das Atomwaffen besitzt, neue baut, nicht Mitglied des NPT ist, sich weigert, den Vertrag zu unterschreiben, sich weigert, sich inspizieren zu lassen, und jede Konferenz zu einem WMD-freien Nahen und Mittleren Osten boykottiert oder torpedert: Israel.
    Was dann folgt, ist ein Sammelsurium von Vorstellungen über den Bau von Atomwaffen und angeblichen Plänen dafür, wie es einem unterbelichteten Hauptschüler sicherlich gut zu Gesicht stehen würde -- einem halbwegs gebildeten Hauptschüler nicht. Casdorff schreibt nämlich:
    Naiv wäre anzunehmen, dass das Regime in Teheran einfach ablassen wird von seinen Atomplänen; wo es doch auf der anderen Seite Uran anreichert und auf den technischen Möglichkeiten zum Bau von Atomwaffen beharrt. Naiv wäre zu glauben, dass die Mullahs einem Abkommen zustimmen würden, das ihnen den Zugang zu Atomwaffen langfristig versperrt; wo das Land sich doch in einem Konkurrenzkampf um die beherrschende Macht in der Region befindet, unter anderem mit dem sunnitischen Saudi-Arabien. Naiv wäre zu erwarten, dass ein Abkommen den Iran dazu bringt, dem Terror abzuschwören und der Unterstützung des Terrors; wo er als schiitische Vormacht doch genau das tut.
    Das volle Repertoir zionistischer Verleumdungen, so liest sich das. Werfen wir wieder einen genaueren Blick darauf:
    1. Casdorff schreibt von "Atomplänen" des "Regimes in Teheran". Nun, es sind, soweit es die zivile Nutzung der Kernenergie angeht, die meisten Iraner für diese Pläne. Von Atomwaffenplänen berichtet allerdings niemand, auch nicht die IAEA. In keinem einzigen Dokument der Organisation wird von einem iranischen Atomwaffenprogramm berichtet, ja, es wird nicht einmal eines unterstellt, vermutet oder an die Wand gemalt.
    2. Die Urananreicherung, die der Iran unternimmt, ist notwendig. Zum einen wird damit Brennstoff für die Reaktoren des Landes hergestellt. Dies betrifft die Anreicherung auf 3,75% LEU (niedrig angereichertes Uran). Zum anderen benötigt der Forschungsreaktor in Teheran U235 in 19,75%iger Anreicherung, um medizinische Isotope herzustellen (99Mo => 99mTc). Letzteres ist auf dem Weltmarkt nicht in ausreichendem Maße zu erhalten, also produzieren die Iraner ihre Isotopen selbst. Sie dürfen das, weil sie nach Artikel IV des NPT ein unveräußerliches Recht darauf haben. Und sie haben die Ehrlichkeit dieses Unterfangens bereits nachgewiesen, indem sie schrittweise Brennstoffplatten hergestellt haben, die vom Iran nicht weiter angereichert werden können.
    3. Die Schlußfolgerung, die Mullahs, ah ja, deshalb der Begriff oben, würden sich einem Abkommen gegen Atomwaffen verwehren, ist absolut idiotisch, denn genau das leistet der NPT. Sie haben es schon getan, Freund Blase, sie haben sich dem Verbot des Baus einer Atomwaffe unterworfen.
    4. Der "Iran als Terrorunterstützer" ist ein bekanntes Sujet. Langsam wird dem Leser klar, warum Argentinien und die angeblich verschleierte AMIA-Untersuchung durch die Medien gehechelt wurden. Im immer noch aktuellen Bericht des National Counter-Terrorism Center taucht das Land allerdings nur einmal auf: als Herkunftsland der Opfer. Zum öffentlichen Kalender geht es hier entlang: Klick!
    5. Casdorff hat nicht bemerkt, daß der Iran über eine sehr gut eingespielte Soft-Power-Strategie verfügt, deren Früchte ihm gerade in den Schoß fallen. Saudi-Arabien seinerseits schießt gern mal den Protest der schiitischen Mehrheit in den ölreichen Ostprovinzen oder im Nachbarland Bahrain zusammen, was das Land in des Lügenmauls Augen garantiert zum Botschafter der Demokratie der Region macht -- außer der kleinen, verletzlichen und einzigen sowieso, versteht sich.
    Netanyahus Mietmaul Casdorff geht noch einen Schritt weiter. Er versteigt sich zu folgender Aussage:
    Benjamin Netanjahu sagt: Wenn der Iran als normaler Staat behandelt werden will, dann soll er sich wie einer verhalten. Wieder ein schlichter Satz – und wer sagt, dass darin nicht schlicht die Wahrheit steckt? Ein normaler Staat: Die Mullahs, an der Spitze Ajatollah Hassan Ruhani, reden freundlicher als der vormalige Präsident Mahmut Ahmadinedschad. Aber hingerichtet wurden unter Ruhani noch mehr Menschen.
    Brav nachgeplappert, Schwätzer. Die Iraner haben ihr eigenes Rechtssystem. Du, Casdorff, mußt ja nicht dort wohnen. Nur ist es eben so, daß die Mehrheit der Todesurteile, die ich auch gern als lebenslängliche Freiheitsstrafen sehen wollte, gegen Drogendealer, -schmuggler und -händler oder gegen Mörder verhängt werden, wobei Letztere nach der schiitischen Shari'a auch im Benehmen mit den Familien der Opfer in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden können.

    Eine Unverschämtheit aber ist das Verschweigen der Massakerpolitik des Mannes, den er hier lobpreist. Im letzten Gazakrieg wurden von der Soldateska Israels 2131 Menschen ermordet, davon 1473 Zivilisten, unter ihnen 501 Kinder und 257 Frauen. Dazu geht dem Heuchler Casdorff kein einziges Wort über die Lippen. Er äußert sich nicht zum illegalen, weil zusammengeraubten und zusammengestohlenen sowie unkontrollierten Atomwaffenprogramm des Massakerstaats, nicht zu Landraub und Ausradieren Palästinas, nicht zur willkürlichen Entführung von Palästinensern von der West Bank und aus dem Gazastreifen. Jüngst waren unter den 22 Entführten auch wieder sieben Kinder.

    Man täte Casdorff sicherlich unrecht, ziehe man ihn einer Auftragsarbeit. Ich fürchte, es ist noch schlimmer. Obwohl alle Fakten nachprüfbar sind, obwohl die Lüge offensichtlich ist, schreibt er seinen Artikel, wie er ihn schreibt. Er ist ein Überzeugungstäter. Das macht es noch schlimmer, denn er wird sich irgendwann, wenn das Mäntelchen nach dem neuen Wind ausgerichtet und das Gewinde im Hals eine Drehung weiter gedreht worden sind, Fragen stellen müssen. Ich hoffe, ich bin dabei.


    Update:

    DNI James Clapper hat sowohl den Iran als auch die von ihm unterstützte Hezbollah aus der Liste der terroristischen Bedrohungen gestrichen, berichtet die iranische Agentur PressTV:
    Highlighting Iran’s regional role, the report pointed to the Islamic Republic’s “intentions to dampen sectarianism, build responsive partners, and deescalate tensions with Saudi Arabia.”

    Iran has “overarching strategic goals of enhancing its security, prestige, and regional influence [that] have led it to pursue capabilities to meet its civilian goals,” the report said.

    The report also said that Hezbollah is countering ISIL Takfiri terrorists in Syria and Iraq.

    Update 2:

    Mittlerweile bestätigten die Times of Israel und Newsweek diese Meldung.

      Samstag, 7. März 2015

      Christian Böhme hat es wieder getan

      Wieder beklagt der Chefbeauftragte für den Neuen Antisemitismus beim Tagesspiegel die anti-israelische Stimmung im Land. In seinem Artikel: "Drei judenfeindliche Straftaten pro Tag" schreibt er:
      Der Antisemitismus scheint immer aggressiver zu werden. Auch Zahlen belegen das. Die Regierung sagt, die meisten Übergriffe gehen auf das Konto von Rechtsextremisten. Und was ist mit der Judenfeindschaft unter Muslimen? Ein Kommentar.
      Und dann kommentiert er mal so richtig los. 90% aller gegen Juden gerichteten Straftaten sollten von "alten und neuen Neonazis" verübt worden sein. Warum sie nicht von verübt wurden, sondern mit "sollen" ins Reich der Zweifel verfrachtet werden, bleibt sein Geheimnis. Aber ein Kommentator muß nichts erklären oder belegen, er darf aus dem Bauch heraus schreiben. Recht hat er, wenn er die Gesamtzahl von 1.200 dieser Attacken beklagt, drei am Tag, wie er schreibt, dagegen muß vorgegangen, die Täter müssen eingesperrt werden. Dann kommt es, dann kommt es ihm wie immer:
      Und eine, die für alle nachvollziehbar macht, dass viele Juden in Deutschland ein großes Unbehagen verspüren. Die kaum zu überhörenden antisemitischen Parolen auf Anti-Israel-Demonstrationen während des Gazakrieges befördern dieses Gefühl des Bedrohtseins.
      Böhme konzentriert sich also auf anti-israelische Demonstrationen als Beispiel für den "muslimischen Antisemitismus". Er nennt den Grund wieder nur beiläufig: den Krieg in Gaza, der, ich schrieb es bereits, 2131 Palästinenser das Leben kostete, davon 1473 Zivilisten (69,12%). 501 Kinder und 289 Frauen wurden abgeschlachtet. Gezielt. Das ist für Böhme kein Grund zu Wut und Empörung, nein, die Reaktion von Muslimen hierzulande ist es, obwohl sich Israel als "Staat der Juden" definiert und sein Gesellschaftssystem darauf ausgerichtet hat, daß jüdische Israelis besser gestellt werden als palästinensische. Daß Harkabi davor warnte, daß Juden in der Welt mit Israels falscher Politik in Verbindung gebracht und Israel selbst verantwortlich für antisemitische Vorfälle in aller Welt gemacht werden würde, hat er nicht gelesen, der Musterdemokrat. (Siehe Yehoshafat Harkabi: "Israel's Fateful Hour". Harkabi war der israelische Militärgeheimdienstchef mit der längsten Dienstzeit.)

      Am Ende versteigt sich Böhme zur Anspielung, daß Hakenkeuze von Muslimen an die Wände geschmiert würden. Wieder dominiert der Bauch. Wieder kein Beleg, wieder schürt er Haß. Die kennt man ja, die Muselmänner, das weiß man doch. Die Bundesregierung hingegen, die u. a. auch sein Geschmiere nicht nachvollziehen konnte, weiß gar nichts. Der Populist tobt sich aus. Voller Haß.

      Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski, läßt in ihrem neuen Kommentar "'Angst-machen' ist ihr Geschäft" den israelischen Historiker Tom Segev zu Wort kommen:
      Wir manipulieren den Anstieg des Antisemitismus für unsere Zwecke und wenn ich wir sage, dann meine ich die israelische Regierung.
      Böhme folgt einer Agenda, und nur einer: Israel. Das kann er tun, aber er macht sich auf diese Weise mit Staatsterroristen, Kriegsverbrechern und Völkermördern gemein. Wenn deren unfaßbare Verbrechen, so nennen sie selbst Human Rights Watch und amnesty international und als solche wurden sie von der UN-Kommission Dugards und der des Zionisten Goldstone beschrieben und bewertet, für Böhme kein Grund für einen Aufschrei oder wenigstens leise, heimliche, auf Seite 17, rechts unten und kleingedruckt, vorgebrachte Empörung sind, ist Böhme halt das, was er mit Sicherheit von sich weisen würde: ein islamophober Haßprediger mit einem ins Extreme verrutschten moralischen Koordinatensystem. Kein Journalist, sondern ein Hetzer.

      Mittwoch, 4. März 2015

      Oliver Thränert: "Wo Netanyahu recht hat"

      Der Autor ist lt. Tagesspiegel Leiter des Center for Security Studies in Zürich. In seinem Artikel mit dem oben genannten Titel äußert er sich dahingehend, daß der Iran angeblich verlorengegangenes Vertrauen, das er durch angeblich nicht offengelegte Schritte in seinem zivilen Atomprogramm verspielt habe, durch "Zurückhaltung bei der Urananreicherung" wiedergewinnen sollte.

      Eine eigenartige Formulierung. Der Iran zeigte diese Zurückhaltung von Anfang an. Zunächst einmal gab das Land das waffenfähige Uran, in dessen rechtmäßigem Besitz es war, nach der Revolution ab und ließ seinen Forschungsreaktor amerikanischen Designs auf die Verwendung mit niedrig angereichertem Uran (LEU) umrüsten. Der Iran erklärte sich auch bereit, das Additional Protocol v3.1 zeitweise in Kraft zu setzen, und stellte dessen Ratifikation in Aussicht, würden denn die Sanktionen, die das "unveräußerliche Recht" auf die zivile Nutzung der Atomenergie (NPT, Artikel IV(1) beeinträchtigten, aufgehoben.

      Dies ist nicht geschehen, im Gegenteil: Die Sanktionen wurden über die Jahre verschärft. 2009 schlossen der Iran, die Türkei und Brasilien ein Abkommen ab, dessen Inhalt den Forderungen Barack Obamas in seinem Brief an die IAEA vollends entsprach. Es war die mögliche künftige Präsidentin der USA, Hillary Clinton, die dieses Abkommen in Herrenmenschenmanier aus der Umlaufbahn schoß -- am amerikanischen Wesen soll die Welt genesen.

      Im Iran sind durch die IAEA zigtausend Mannstunden Kontrollen absolviert worden. Die Kette des radioaktiven Materials ist unter vollständiger Kontrolle. Die Anreicherungsanlagen sind unter vollständiger Kontrolle. Es gibt keinerlei Abweichung der Anlagen von den der IAEA vorgelegten Designs. Es gibt kein Uran, das als verschwunden deklariert wird. Es gibt kein militärisches Programm. Die einzige Passage, die Fragen aufwirft, ist eine wie diese:
      71. While the Agency continues to verify the non-diversion of declared nuclear material at the nuclear facilities and LOFs declared by Iran under its Safeguards Agreement, the Agency is not in a position to provide credible assurance about the absence of undeclared nuclear material and activities in Iran, and therefore to conclude that all nuclear material in Iran is in peaceful activities.
      Diese Aussage trifft für jeden Staat der Welt zu. Für Togo kann nicht festgestellt werden, daß es kein nicht angegebenes nukleares Material gibt. Auch nicht für die Bundesrepublik Deutschland. Was aber auf jeden Fall gilt, ist, daß kein Uran verschwunden ist.

      Thränert spricht von Verhandlungen, in denen es um die "erlaubte" Zahl der iranischen Zentrifugen gehe. Das ist absurd. Der Iran darf Zentrifugen haben, so viele er will, sofern er sie rechtzeitig bei der IAEA anzeigt. Das ist ein Recht des Landes aus NPT Artikel IV(2). Anschließend fordert er intensivere Kontrollen im Iran. Das kann er gern tun, es gelten aber die Abkommen des Iran mit der IAEA. Zu mehr als den verabredeten Safeguards ist der Iran nicht verpflichtet, Thränerts Forderungen hin, Thänerts Forderungen her.

      Zum Schluß unterstellt der Autor auf erstaunlich ahnungslose Weise, der Iran dürfe nach Ablauf einer Frist von zwei Jahren die Umsetzung des Zusatzprotokolls von sich aus beenden. Hier irrt sich der Experte. Der Iran ist zu keiner Umsetzung des APv3.1 verpflichtet. Kein NPT-Staat ist das.

      Den Gipfel aber stellt die Aussage dar, der Iran müsse die Hosen herunterlassen, um zu einem "normalen" Staat zu werden. Thränert schreibt diese Zeilen in einem Artikel mit dem Titel "Wo Netanyahu recht hat". Israel hat sich sein Atomwaffenprogramm als Belohnung für den Angriffskrieg gegen Ägpyten grundausstatten lassen, raubte im Schutz seiner Kanonenboote auf dem Mittelmeer 200 Tonnen Uran vom EURATOM-Frachter MS Scheersbergs A, stahl waffenfähiges Uran aus der Tarnfirma NUMEC in den USA und klaute gleich noch Mikrowellenröhrenverstärker, ohne die eine Atomwaffe damals nicht gezündet werden konnte. Israel blockiert heute noch mit seiner Boykottpolitik die Schaffung eines WMD-freien Nahen und Mittleren Ostens.

      Wo Netanyahu recht hat? Wo seine Hunde bellen, obwohl die Karawane längst weitergezogen ist.

      Sonntag, 1. März 2015

      Christian Böhme und der "Neue Antisemtismus"

      Christian Böhme vom Tagesspiegel unterstellt dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller, er stelle sich blind, weil er gesagt habe, er nehme die Gefährdung von Juden in bestimmten Gebieten Berlins nicht so wahr, wie es der Zentralrat der Juden in seiner Warnung formuliert habe. Für Böhme ist der offene Antisemitismus in Berlin ein ausgemachtes Ding; Offensichtliches werde von Müller verdrängt.

      Desweiteren unterstellt Böhme die Existenz von No-Go-Arealen für Juden, eine Beunruhigung DER Juden in Deutschland und also auch in Berlin und einen muslimischen Antisemitismus.

      Das alles gibt es, und ein derartiges Gefüge ernst zu nehmen ist die Pflicht der Innenpolitiker Berlins und des Regierenden Bürgermeisters. Dann aber schreibt Böhme:
      Aber wenn – wie während des Gazakriegs im Sommer geschehen – arabische Jugendliche auf deutschen Straßen „Tod den Juden“ skandieren, muss auch das alle alarmieren. Und es braucht eine starke Antwort darauf. Politik wie Gesellschaft sind gleichermaßen in der Pflicht.
      Der Anlaß der Demonstrationen wird mit einem Einschub abgehakt, dann wird wieder zur Tagesordnung übergegangen. Böhme macht denselben Fehler, den die meisten Journalisten hierzulande machen: Er differenziert nicht zwischen Judentum, Zionismus und Israel. Wieder einmal wird die Ursache des Konflikts von den zionistischen Kolonialisten weggeschoben auf den den Arabern in Böhmes Augen wohl wesenseigenen Antisemitismus, dem Haß auf Juden, weil sie Juden sind. Wie Finkelstein in "Antisemitismus als politische Waffe" schreibt, ist das "Thema dann nicht länger die Inbesitznahme palästinensischen Landes durch Juden, sondern die arabische »Abwehrhaltung« gegenüber Juden. Auch die grundlegende Verantwortung für die Lösung des Konflikts liegt dann nicht mehr bei Israel, sondern bei der arabischen Welt." (Ebd., S. 72.)

      Während des von Böhme erwähnten Gazakriegs 2014 wurden 2131 Palästinenser ermordet, davon 1473 Zivilisten (69,12%). 501 Kinder und 289 Frauen wurden von der moralischsten Armee der Welt umgebracht.

      Das ist nicht Böhmes Thema, sondern der dümmliche Ruf "Tod den Juden", dessen Anlaß im Massenmord an Palästinensern begründet war.

      In der Diskussion über Antisemitismus und Israel-Kritik wird häufig Bezug genommen auf einen Bericht der "Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" (EUMC) mit dem Titel "Manifestations of Anti-Semitism in the European Union". Es handelt sich bei der EUMC nicht um ein Organ der EU, sondern um eine selbständige Einrichtung. Diese Organisation nun weigerte sich zunächst, die "Manifestations" zu veröffentlichen, worauf Kritik vom Jüdischen Weltkongreß auf die Entscheidungsträger einprasselte. Der Grund des Zurückhaltens des Papiers war der auch von Javier Solana erkannte Mangel "an schlüssiger Argumentation und empirischer Zuverlässigkeit" (Ebd., S. 75). Autoren der Studie waren Werner Bergmann und Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin.

      Die "Manifestations" entstanden während der israelischen Operationen "Defensive Shield" und der Belagerung des Flüchtlingslagers Jenin und "Determined Path". Dementsprechend häufig waren die Proteste in Europa. Zielsicher wurde als Antisemitismus identifiziert:
      • das Verbrennen einer israelischen Fahne,
      • das Einschlagen eines Schaufensters,
      • haßerfüllte Telefonanrufe bei der Botschaft Israels (alles in Belgien),
      • die Forderung der Unterstützung für die Palästinenser (Spanien),
      • eine palästinensische Flagge und ein Buch des Vertreters Palästinas in Italien während eines Kongresses der Kommunistischen Partei Italiens,
      • das "Palästinensertuch" ebendort,
      • das Hissen der palästinensischen Fahne auf dem Balkon der Residenz des Vorsitzenden der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, durch dessen Frau,
      • Anrufe und E-Mails an die israelische Botschaft in Portugal und
      • Flugblätter mit der Aufforderung, der Bewegung "Boykott, Divestment, Sanctions" zu folgen und keine israelischen Produkte aus den besetzten Gebieten zu erwerben. (Ebd., S. 77 f.)
      Wieder wird der Anlaß der Proteste verdrängt, die teilweise unappetitlichen Vorgänge werden in den Vordergrund gestellt. Die kennt man ja, die Araber. Dummerweise will das mittlerweile in FRA umbenannte EUMC von dieser Studie nichts mehr wissen. Nach heftiger Kritik der "European Jews for a Just Peace" ist die "Arbeitsdefinition Antisemitismus" gründlich ausgemistet und mit allgemeinen Formulierungen überschwemmt worden. Dennoch: Für Deutschland wurden lt. überarbeiteter Studie 2001 18 antisemitische Vorfälle registriert, für 2002 28 und für 2003 16. Welche Ursache diese Schwankung haben könnte, wurde nicht untersucht.

      Die Antonio-Amadeu-Stiftung verzeichnet folgende Angriffe und Anschläge (nur die Zahlen):
      • 2002:49
      • 2003:81
      • 2004:67
      • 2005:61
      • 2006:114
      • 2007:79
      • 2008:85
      • 2009:57
      • 2010:81
      • 2011:43
      • 2012: 34
      • 2013:72
      • 2014: 176
      Auch hier gibt es Häufungen: 2003, 2006, 2008/2009, 2010 und 2014. Im Jahr 2006 ermordete die Israel Defense Force nach dem Einmarsch in den Libanon wenigstens 1125 Menschen, davon wenigstens 501 Zivilisten. 2008/2009 wurde Gaza bombardiert. Ungefähr 1400 Menschen starben, davon 926 Zivilisten (darunter 341 Kinder). 2010 erschossen israelische Soldaten neun Menschen an Bord einer Hilfsflottille, die sich in internationalen Gewässern befand. 2014 wurde Gaza erneut angegriffen, die Opferzahlen habe ich oben angeführt.

      Böhme weiß das alles, und wenn er es nicht weiß, hätte er es nachlesen können. Das war ihm zuviel Arbeit. Der Bauch hat gewonnen. Oder er weiß, was sich gehört.